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truman peyote
cnotime

22. Mai 2011

Also: Ich bin eingeladen bei Sarah zu Hause, ich nenne sie jetzt mal einfach Sarah, jedenfalls haben mich ihre Eltern eingeladen, um mich mal besser kennenzulernen, wie Eltern das so machen. Ich war sechzehn und furchtbar aufgeregt, wollte natürlich einen guten Eindruck machen und so weiter. Sarah und ich haben uns damals schon geküßt, aber mehr war nicht, ich war ja noch Jungfrau, und sie, glaube ich, auch. Dazu muß ich sagen, daß sie Ballett tanzte und wunderschöne, lange braune Haare hatte, und ich habe sie sehr geliebt. Auf jeden Fall habe ich mich ordentlich angezogen, Krawatte und Blazer mit Goldknöpfen drauf und so, und ich laufe das Treppenhaus hoch und habe ganz feuchte Hände, und meine Knie zittern, und dann riecht es nach diesem Bohnerwachs. Dieser Geruch bohrt sich in mein Gehirn. Ich sitze beim Essen mit der Familie, Sarah sitzt mir gegenüber und lächelt, und das Beste dabei ist: ihre Eltern mögen mich. Die Mutter häuft mir immer mehr Fisch auf und Petersilienkartoffeln, und der Vater grinst mich immer so an und schenkt mir tatsächlich Weißwein nach, schon drei Gläser habe ich getrunken, und alles läuft bestens, außer, daß ich langsam betrunken werde und mir etwas übel von dem Wein wird. Das Essen ist dann zu Ende, und es ist schon ziemlich spät, und dann sagt der Vater, er siezt mich: Junger Mann, warum bleiben Sie heute nacht nicht hier bei uns im Haus, gucken Sie mal, meine Frau richtet Ihnen das Gästezimmer her, dann haben Sie nicht so spät noch den langen Heimweg. Ich sage natürlich erst nein, vielen Dank, dann bitten sie mich aber nochmal, also sage ich schließlich ja. Ich bin, wie gesagt, immer noch furchtbar aufgeregt, aber inzwischen auch furchtbar betrunken. Jedenfalls lege ich mich schlafen, in das Gästezimmer, bekomme vorher noch einen Kuß von Sarah, und ich weiß heute noch, wie der Kuß schmeckte, nämlich nach Wein und nach Honig. Mitten in der Nacht wache ich auf, und es riecht so komisch im Zimmer, und ich schlage die Augen auf und fühle im Dunkeln so um mich herum, und alles ist naß, und ich denke: Um Gottes willen. Feuchten Traum gehabt. Bitte, bitte, bitte nicht jetzt und nicht hier. Ich mache also das Licht am Nachttisch an, Knips macht das, und ich gucke an mir herunter und sehe, daß ich ins Bett gekotzt habe, aber das ist nicht alles, nein, ich habe auch noch ins Bett geschissen. In diesem Moment wird alles dunkel. Ich habe nicht lange überlegt, ich konnte auch gar nicht überlegen. Ich habe mich angezogen und bin rausgerannt, aus der Wohnung, das Treppenhaus runter, wo es immer noch nach Bohnerwachs roch, und auf der Straße habe ich dann geheult vor Scham, aber stehengeblieben bin ich nicht, nein, weitergerannt bin ich, bis ich nach Hause kam. Und die Sarah habe ich nie wieder gesehen.

Aus Christian Krachts "Faserland", S. 30f